Reiche Länder zuerst: Das Ergebnis im Rennen um Impfstoffe steht fest

Impfungen gegen Covid-19 sind zur Zeit täglich Thema in den Nachrichten: einerseits Impfgegner*innen und Diskussionen um Impfpflicht, andererseits die Anklage an die Regierung, nicht ausreichend Impfstoff bestellt zu haben. Letzteres interessiert mich hier: Es gibt auf längere Zeit nur begrenzt viel Impfstoff weltweit. Doch Hauptsache, Deutschland hat genug davon? Es sollte klar sein, dass die Pandemie ein globales Problem ist, das sich nur global lösen lässt. Derzeit ist eine globale Lösung leider nicht in Sicht. Woran liegt das und welche Ansätze gibt es, dies zu ändern?

Die Impfallianz COVAX ist ein solches globales Projekt. COVAX wollte koordiniert für alle Länder Impfstoffe bestellen und mit 2 Milliarden Impfdosen 20% der Bevölkerung impfen. Dabei sollen die Impfstoffe für die ärmeren Länder durch Spenden bzw. Unterstützung der reicheren finanziert werden. Die Europäische Union hat dafür 500 Millionen Euro zugesagt. Das Projekt wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO geleitet sowie von den öffentlich-privaten Impfallianzen Gavi und Cepi, die zum Teil von der Stiftung von Bill und Melinda Gates finanziert werden. Doch es fehlt immer noch an ausreichend finanziellen Zusagen (erst 2 von 7 Milliarden US$ sind bereit gestellt). Und ein Großteil der Impfstoffe, die voraussichtlich 2021 produziert werden, ist schon vom Markt.1

Denn die reichen Länder haben bereits soviel Impfstoff bestellt, dass sie ihre Bevölkerung dreimal impfen könnten.2 Dies muss man ein Stück weit relativieren, weil evt. nicht alle Impfstoffe eine Zulassung erhalten. Dennoch haben die reichen Länder mit 14% der Weltbevölkerung über die Hälfte potenziell verfügbarer Impfstoffe bereits aufgekauft. Es wird geschätzt, das in den Ländern im Süden in diesem Jahr höchstens 10% der Bevölkerung geimpft werden können. Für Länder in Afrika wird vermutet, dass sie sich noch Jahre gedulden müssen, bis sie flächendeckend versorgt sind.

COVAX ist aber auch in der Kritik als neokoloniales Modell oder Feigenblatt. Durch Spenden aus dem Norden sollen Impfungen im Süden möglich werden. Warum kein Technologietransfer, der eigene Produktion in den Ländern des Südens ermöglicht? Dahinter steht ein internationales System von Patenten, die das Gewinninteresse der Pharmaindustrie schützen, und an dem die Regierungen im Norden nichts ändern wollen. Die Folge ist, dass Pharmakonzerne hohe Gewinne erzielen können und gleichzeitig nicht schnell genug Impfstoff durch verschiedene Unternehmen weltweit produziert werden kann.

Dabei sind die Unternehmensstrategien durchaus verschieden: So verkauften Moderna und Pfizer/BioNTech fast alle Impfdosen an reiche Ländern. Oxford/AstraZeneca versprach, 64% für Menschen in den Entwicklungsländern bereitzustellen.3 AstraZeneca-Chef Pascal Soriot betonte, der Konzern werde“die Entwicklung des Impfstoffs als Antwort auf eine globalen Gesundheitsnotstand und nicht als kommerzielle Möglichkeit behandeln“. Bei Biontech/Pfizer sieht man das anders.4

In jedem Fall ist klar: Alles hängt vom guten Willen der Unternehmen ab und es gibt keine Regelung, die sie zu geringeren Preisen oder der Verteilung auch in ärmeren Ländern zwingen kann.

Dabei gibt es durchaus Ideen, wie mit geistigem Eigentum zur Bekämpfung der Pandemie umgegangen werden kann: Costa Rica schlug im Mai 2020 einen Patent-Pool bei der WHO vor. Indien und Südafrika setzten sich im Herbst bei der Welthandelsorganisation dafür ein, dass geistige Eigentumsrechte für COVID-Impfstoffe ausgesetzt werden. In beiden Fällen könnten Generikafirmen dezentral Impfdosen produzieren, die auch Ländern im Süden zugänglich und erschwinglich wären.5 Das wäre ein Weg, die Pandemie zu bekämpfen und das Machtgefälle zwischen Nord und Süd zu verringern. Die Gewinnaussichten der Pharmakonzerne würden allerdings geschmälert. Die Länder des Südens stimmten zu, im Norden blockierten zumindest alle Länder mit einer eigenen Pharmaindustrie, u.a. Deutschland. Der Schutz des geistigen Eigentums der Pharmahersteller zählt also de facto mehr als der Schutz von Menschenleben.

Doch die Forderung bleibt aktuell: Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen sollen ihr geistiges Eigentum teilen, damit sichere und wirksame Impfstoffe überall auf der Welt ohne Patentgebühren, also günstiger, hergestellt und verteilt werden können. Dafür macht sich die globale Kampagne „The People‘s Vaccine“, die sich an die Regierungen richtet, stark.6 Unterzeichnet wurde sie bereits von vielen, v.a. ehemaligen, Regierungschef*innen.

Exkurs Patente:

Pharmaunternehmen entwickeln neue Medikamente, Impfstoffe etc. und schützten diese durch Patente. Diese Patente sollen ein Garant für Innovation sein: Die Patenteinhaber veröffentlichen ihre Erfindung, so dass andere mit den veröffentlichten Erfindungen weiter forschen können. Sie erhalten gleichzeitig das Recht, diese Erfindung während eines definierten Zeitraums (in der BRD 20 Jahre) allein zu einem selbst festgelegten Preis zu verwerten, Lizenzen zu geben oder zu verweigern. Dieses alleinige Recht und damit verbundene Gewinne motiviere Unternehmen zur Innovation, sagen die Befürworter*innen.

Doch im Hinblick auf die globale Gesundheitsversorgung ist dieses System fatal: Trotz des medizinischen Fortschritts und der Verfügbarkeit von Medikamenten sterben jedes Jahr Millionen Menschen an Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Malaria – unter anderem wegen der hohen Preise der Medikamente. Zudem wird an Medikamenten, mit denen nicht viel zu verdienen ist, auch nicht geforscht.1 Andererseits zeigt der Fall der Kinderlähmung, dass es auch ohne Patente geht. Jonas Salk, der Erfinder der Polio-Impfung gab seine Erfindung frei: „Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“ Kinderlähmung ist heute fast ausgerottet.

Auch wird die Forschung der Pharmaunternehmen zu einem nicht geringen Teil mit öffentlichen Mitteln, also aus Steuergeldern, finanziert (wie auch bei den jetzigen Impfstoffen). Dennoch können die Firmen Patente anmelden und so das entstandene Wissen privatisieren und anschließend die Preise selbst festsetzen und hohe Gewinne erzielen. Dabei wäre es sinnvoll, wenn als Gegenleistung für die öffentliche Finanzierung die Ergebnisse auch öffentlich sind.

Patente und Urheberrecht wurden von Europa und in den USA in die Welt gebracht. Sie waren und sind ein großes Thema in der Welthandelsorganisation und bei Freihandelsverträgen. Länder des Südens sollen eine entsprechende Gesetzgebung umsetzen. Denn wenn ein Land die Urheberrechte nicht schützt, könnten Unternehmen diesen Landes die patentierten Erfindungen nachbauen (Generika), ohne angeklagt zu werden.

1 https://www.patents-kill.org/deutsch/

1 Website Amnesty, s.o.

2 https://www.dw.com/de/faktencheck-corona-impfstoffe-verteilung-welt/a-55923381

3 https://www.medico.de/fileadmin/user…/ECCHR_covid-impfstoff.pdf

4 https://peoplesvaccine.org/

5 https://www.gavi.org/covax-facility und https://www.rnd.de/gesundheit/corona-impfstoff-fur-arme-lander-covax-initiative-stosst-an-grenzen-2KF7MXOVWHUTNKAJEXJQEBW6NY.html

6 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/12/campaigners-warn-that-9-out-of-10-people-in-poor-countries-are-set-to-miss-out-on-covid-19-vaccine-next-year/