Hingeschaut! – Krieg im Sudan

Darfur Village Abandoned after Heavy Clashes, UN Photos/Albert Gonzales Farran on flickr.com, keine Änderungen vorgenommen, lizensiert unter CC BY-NC-ND 2.0 Deed.

Der Krieg im Sudan hat nach Schätzungen der WHO seit Beginn im April 2023 12.000 Menschen das Leben gekostet. Fast 7 Millionen Menschen flüchteten. Der Krieg ist dennoch in den Medien kaum präsent.

Ich habe mit unserer Kollegin von CABANA Dr. Negla Osman und ihrem Mann Fatih Elrahman Eldirdiri über diesen Krieg gesprochen. Sie kommen aus dem Sudan, leben und arbeiten seit ihrem Studium in Dresden.

Wie kam zu den heutigen Kämpfen im Sudan?

F: Zum Verständnis muss man sich die Geschichte ansehen. Die Grenzen des Sudan wurden durch die Kolonialmächte festgelegt. Der Name „Sudan“ umfasste die Region vom Senegal über den Tschad bis nach Äthiopien und Eritrea. Deshalb gab es nach der Unabhängigkeit auch Streit um den Namen. Stammesgebiete wurden durch die Grenzen geteilt. Auf dem Gebiet des heutigen Sudan gab es mehrere Königreiche und viele verschiedene Stämme. Der Sudan beherbergt zahlreiche Identitäten und Völker, die 70 verschiedene Sprachen sprechen. Es gibt Konflikte um Identität und Ideologie. Und Konflikte zwischen Militärdiktatoren und demokratischen Parteien darüber, wer über das Land verfügt und wie die Regierung aussehen soll. Aufeinanderfolgenden Regierungen gelang es nicht, die Vielfalt zu bewältigen und einen Konsens zwischen den verschiedenen Konfliktparteien herzustellen. Wir haben es nicht geschafft, ein einheitlicher Staat zu werden.

Welche Konflikte gibt es denn zwischen die verschiedenen Gruppen?

F: In der Kolonialzeit wurde vor allem der Zentralsudan, also die Region um Khartum, entwickelt. Die Menschen haben mehr Bildung und die Stammeszugehörigkeit spielt kaum eine Rolle. Nach der Unabhängigkeit wurde versucht, den Stämmen und lokalen Chefs im Süden und Westen ihre Macht zu nehmen, also Demokratie von oben einzuführen. Das hat nicht funktioniert. So gibt es Konflikte zwischen dem entwickelten Zentralsudan, der die Regierung stellt, und den anderen Regionen, die benachteiligt sind.

Außerdem gibt es im Westen Konflikte zwischen nomadisch lebenden Hirten mit arabischen Wurzeln und Bauern mit afrikanischen Wurzeln um Land. Die Hirten verlieren Land an die Bauern und die Regierung.

Im jetzigen Krieg kämpft die Miliz RSF (Rapid Support Forces) gegen das sudanesische Militär. Wie ist diese Miliz entstanden?

F: 1989-2019 regierte Omar al-Bashir. Als 2003 afrikanische Stämme aus dem Darfur gegen die Regierung rebellierten, ging die Regierung militärisch dagegen vor. Al-Bashir nutzte den Konflikt zwischen Hirten und Bauern aus und baute eine Miliz aus Nomaden auf, die die „schmutzige Arbeit“ machten.

2019 protestierte in Khartum die zivile Opposition gegen al-Bashir. Die Milizen sollten ihn wieder unterstützen. Doch die dachten, sie sind stark genug und könnten selbst regieren. Sie putschten mit dem Militär gegen al-Bashir und kämpften danach weiter gegen die zivile Opposition. Es gab dann eine Übergangsregierung mit Militär, Miliz und zivilen Kräften. Abdel Fattah al-Burhan vom Militär regierte und Mohammed Hamdan Dagalo, Chef der Miliz RSF, war der zweite Mann.

Was passierte dann im April 2023?

F: Die zivilen Kräfte in der Regierung wollten, dass die Milizen in kurzer Zeit Teil des Militärs werden. Hamdan Dagalo war dagegen und wollte noch 10 Jahre Zeit (seine Miliz war in drei Jahren von 20.000 auf 100.000 gewachsen). Das Militär lehnte das ab. Aus diesem Grund brach ein Krieg zwischen den beiden Militärparteien aus.

Die RSF hat Teile des Sudans unter ihre Kontrolle gebracht. Wie agiert sie?

N: Wenn sie eine Stadt erobern, dann öffnen sie alle Gefängnisse, stehlen Autos etc. Sie kämpfen zwischen den Häusern ohne Rücksicht auf Zivilisten. Sie vergewaltigen und töten. Die Menschen haben Angst und fliehen. Dann bewohnen die Milizen die Häuser der Geflohenen.

F: Das Militär kann die Menschen nicht schützen. Es ist nicht gut ausgerüstet. Es gibt keine Regeln in diesem Krieg. Auch Journalisten werden erschossen.

N: Es gibt keine Sicherheit und auch z.B. keine Medikamente mehr.

F: Die Milizen zerstören auch die Zivilregister und Grundbücher. Menschen können nicht mehr nachweisen, dass Ihnen ihr Land gehört.

Warum machen Menschen bei der RSF mit?

F: Es sind überwiegend Nomaden aus dem Westen, die sich im Vergleich zum Zentralsudan benachteiligt fühlen. Die Führer begannen über die historische Ungerechtigkeit zu sprechen, die sie nach der Kolonialzeit erlebten. Außerdem können sie in der Miliz reich werden. Die Miliz erhält Aufträge von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und dem Königreich Saudi-Arabien (KSA), im Jemen zu kämpfen.

N: Und auch von der Europäischen Union, die die Miliz finanziert hat, um Migranten auf dem Weg nach Europa aufzuhalten.

F: Aber sie haben auch die Kontrolle über Jabal Amer übernommen, das reich an Gold ist. Das Gold wird abgebaut und über die VAE nach Russland verkauft. Außerdem stehlen sie Autos, Telefone, Häuser, Schmuck usw.

Die RSF wird unterstützt von den VAE, KSA, Russland und der Europäischen Union. Was sind die Interessen?

N: Wir haben viele Rohstoffe im Land. Und wir haben viel fruchtbares Land.

F: In einer Welt, die nach einseitiger Hegemonie in eine Phase der Vielfalt von Machtzentren eintritt, ist es selbstverständlich, dass sich dieser Übergang in Form von Konflikten an den Peripherien und um Ressourcen manifestiert. Trotzdem: Die Hauptursache der Konflikte ist lokal: Das Erbe der Kolonialzeit und dass die Regierungen es nach der Unabhängigkeit nicht schafften, die vielfältige Gesellschaft zusammenzubringen und eine gute Regierung und ein Rechtssystem zu etablieren. Daher geht es im aktuellen Konflikt nicht darum, wie das Land regiert werden soll, sondern um das Land selbst.

Welche Möglichkeit seht ihr für die Zukunft des Sudan?

F: Es gibt keine Vision für den Sudan, wenn die Milizen dort herrschen.

N: Vielleicht muss man das Land spalten, wenn es dadurch Frieden gibt.

F: Es gibt so viele verschiedene Stämme, Religionen etc. Bei jeder Spaltung wird es ein neues Problem geben.

Leider können wir das Gespräch nicht hoffnungsvoll beenden. Vielen Dank, dass Ihr uns vom Sudan erzählt habt und viel Kraft Euch!

Das Interview führte Silke Pohl.